Palästina Solidarität Duisburg als “Hamas-Unterstützer”?

Quelle: Flickr, duncan cumming (CC BY-NC 2.0)

PSDU und Hamas

Das Verbot von Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) wurde im medialen Spektakel, das das Verbot der Gruppe begleitet hat,[1] als Schlag gegen angebliche „Hamas-Unterstützer“ geframet. Was ist dran?

Das Wort „Hamas“ kommt allein in der Verbotsverfügung (ohne Anhänge) 69 Mal vor, also im Durchschnitt auf jeder Seite mindestens ein Mal.[2] Der Vorwurf der angeblichen Unterstützung der Hamas zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Dokument.

„Geistige Unterstützung“

Wenn man allerdings genauer hinschaut, gibt es gar keinen konkreten Vorwurf, dass PSDU die Hamas irgendwie direkt unterstützt hat. Eine Unterstützung der Hamas durch Spenden, Rekrutierung oder öffentliche Werbung wäre spätestens seit dem am 2. November vom Bundesinnenministerium (BMI) erlassen Betätigungsverbot der Hamas eine Straftat in Deutschland. Die Verbotsverfügung erhebt aber gar keinen Vorwurf eines solchen Straftatbestands – weil es ihn vonseiten von PSDU auch nie gab.

Deshalb kreierten die Autoren des Verbots den vollkommen unklaren und daher rechtlich fraglichen Begriff der „geistigen Unterstützung“. Weil dieser Begriff sich allerdings genauso sinnlos anhört, wie er ist, ließen die Mainstream-Medien in ihrer Berichterstattung das „geistig“ einfach weg und bezeichneten PSDU und die von den Hausdurchsuchungen am 16. Mai 2024 Betroffenen als „Hamas-Unterstützer“. Diese Verkürzung war sicherlich vom NRW-Innenministerium einkalkuliert. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine verleumderische Verzerrung, die möglicherweise medienrechtliche Schritte nach sich ziehen wird.

Bezog sich PSDU auf die Hamas?

Das Narrativ der „geistigen Hamas-Unterstützung“ wird in der Verbotsverfügung mit folgender verzerrenden Aussage eingeleitet: „Die Solidarität der Gruppierung gilt ausdrücklich dem palästinensischen Widerstand in allen Formen, womit auch der bewaffnete Kampf der Terrororganisation HAMAS gegen Israel einbezogen wird.“[3] Dieser Satz wird mit einer Fußnote belegt, die auf den Grundkonsens von PSDU verweist. Die Art, wie dieser Satz formuliert ist und belegt wird, suggeriert, dass in diesem Dokument die Worte „bewaffneter Kampf“ und „Hamas“ vorkommen. Weder das eine noch das andere ist aber der Fall. Weder hat sich PSDU in diesem Konsens ausdrücklich zum bewaffneten Kampf geäußert, noch kommt die Hamas in diesem Konsens irgendwo vor.[4]

PSDU hat den Vorwurf, „Hamas-Unterstützer“ zu sein, der zunächst von dem für seine Islam-[5] und Palästinenserfeindlichkeit[6] bekannten rassistischen Online-Blog „Ruhrbarone“ erhoben und später von echten Medien übernommen wurde, stets zurückgewiesen. Ein PSDU-Mitglied ist im November 2023 sogar juristisch gegen diesen Vorwurf vorgegangen – mit Erfolg.[7]

Hat PSDU Hamas-Kennzeichen genutzt?

Die Verbotsverfügung behauptet, PSDU habe vor dem Betätigungsverbot der Hamas „eine offene Verwendung der Kennzeichen“ der Organisation praktiziert, und zwar „wiederholt“.[8] Das ist schlicht falsch. Es gab einen einzigen Post von PSDU, in dem u. a. eine grüne Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, die gemeinhin als „Hamas-Fahne“ betrachtet wird, zu sehen war. Allerdings handelte es sich dabei um einen quasi-journalistischen Bericht, in dem aus stilistischen und platzsparenden Gründen Namen von Organisationen, aber auch von Ländern durch Fahnen ersetzt wurden.[9] Von einer propagandistischen Verbreitung oder „Verwendung" von Hamas-Symbolen kann hier also nicht die Rede sein.

Auch die Verwendung des roten Dreiecks durch PSDU wird der Gruppe als Verwendung eines Hamas-Kennzeichens ausgelegt. Dabei argumentiert die Verfügung widersprüchlich, denn zunächst räumt sie implizit ein, dass es sich nicht um ein Symbol handelt, das einfach der Hamas zugeordnet werden kann. Dann allerdings behauptet sie, das Dreieck neben dem Wort „Widerstand“ in dem Satz „Solidarität mit den Menschen in Gaza und dem palästinensischen Widerstand“ sei „in diesem spezifischen Kontext als Symbol der HAMAS zu betrachten“.[10] Dafür führt sie keinerlei Beleg oder Argument an.

Es ist hinlänglich bekannt, dass dieses Dreieck ursprünglich in Videos der Hamas auftauchte. Es wurde dann aber bald vielfach kopiert, sogar von der israelischen Armee. Mittlerweile ist es Beobachtern zufolge ein palästinensisches Symbol des Widerstands im Allgemeinen, so wie etwa der Löffel ein Symbol für die Befreiung aus den Gefängnissen und der Schlüssel ein Symbol der Nakba und des Rechts auf Rückkehr ist, zumal das Dreieck auch in der Fahne Palästinas auftaucht.[11] Zudem wurde das Dreieck erst nach dem PSDU-Verbot und ausschließlich in Berlin per Exekutivakt verboten und auch das BMI hat es bislang nicht in die Liste der offiziellen Symbole der Hamas aufgenommen.

Neben dem Vereinsverbot laufen gegen mehrere ehemalige PSDU-Aktive, so wie gegen Palästinaaktivisten in ganz Deutschland, Anzeigen wegen der Parole „From the River to the Sea Palestine will be free“. Die Repressionsbehörden stufen diese Parole bekanntlich gerne als Hamas-Kennzeichen ein, trotz gegenteiliger Gerichtsurteile.[12]

Hat PSDU Hamas-Propaganda verbreitet?

Wie bereits oben erklärt, hat PSDU nie öffentlich Inhalte der Hamas verbreitet. Allerdings wurden in internen Chatgruppen u. a. Erklärungen und Videos der Hamas miteinander geteilt. Das ist allerdings weder strafbar noch verwerflich, im Gegenteil: Wer sich mit einem Krieg oder Konflikt beschäftigen will, muss sich mit Originalquellen und mit den Akteuren auseinandersetzen. Palästinensische Propaganda und Veröffentlichungen wurden genauso weitergeleitet wie israelische. In geschlossenen und privaten Chats ist das Teilen von Propaganda auch verbotener Organisationen nicht strafrechtlich relevant. Dasselbe gilt für Medien und die Wissenschaft. Andernfalls würde ein Betätigungsverbot bedeuten, dass sich kein Mensch in Deutschland mehr mit der Hamas (oder anderen verbotenen Organisationen) auch nur beschäftigen dürfte. Das widerspräche der Informations-, Medien- und Wissenschaftsfreiheit.

PSDU – ein Hamas-Ableger?

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) demonstrierte am Tag des PSDU-Verbots nicht nur vor laufenden Kameras, dass er lügen kann, ohne rot zu werden. Er fühlte sich in der von ihm und seinem Ministerium – einen Tag nach den gegen ihn bekannt gewordenen Korruptionsvorwürfen – inszenierten Repressions-Show offenbar so wohl, dass er einfach vor sich hinplapperte, ohne Rücksicht auf die Aussagen in der PSDU-Verbotsverfügung zu nehmen. Dabei behauptete er allen Ernstes – und ohne Zusammenhang zur Verbotsverfügung –, die Hamas sei die „Mutter“-Organisation von palästinasolidarischen Gruppen in Deutschland wie PSDU.[14] Mit anderen Worten: Er stellte PSDU als eine Art Hamas-Ableger dar.

Welches Verhältnis hatte PSDU zur Hamas?

PSDU hatte weder Kontakte zur Hamas, noch hat es für sie Gelder gesammelt, noch geworben. PSDU hat sich auch nie positiv speziell auf die Hamas bezogen oder sich zu ihrem Programm oder ihrer Ideologie bekannt. PSDU hat stets vom palästinensischen Widerstand als Ganzem gesprochen: der Widerstand als vom Völkerrecht legitimierter Akt, der dem gesamten palästinensischen Volk zusteht, und zwar mit allen Mitteln – politisch, juristisch und bewaffnet.[15]

PSDU hat sich lediglich in zwei Statements zur Hamas geäußert, eines stammt vom 2.11.2023[16] und eines vom 18.11.2023. In der ersten Stellungnahme wurden vor allem Tatsachen festgestellt: 1. Die Hamas wurde 2006 zur bislang einzigen durch Wahlen legitimierten Regierung der Palästinenser in den 1967 besetzten Gebieten gewählt. 2. Die Hamas ist eine politische Partei, eine politisch-soziale Bewegung und bis heute die Regierung im Gazastreifen. 3. Die Hamas sei religiös-konservativ, aber weder „radikal-islamistisch“ noch „fundamentalistisch“ noch „faschistisch“. 4. Die Hamas ist nur in 33 von 193 Staaten weltweit als „Terrororganisation“ eingestuft. Zuletzt wurde die Einschätzung geäußert, dass die Hamas nicht antisemitisch sei, und die Kriminalisierung der Hamas (durch ihre Listung durch die EU als „Terrororganisation“ sowie durch das Betätigungsverbot in Deutschland) wurde kritisiert.

Die genannten Fakten sind unwiderlegbar und die Einschätzungen stützen sich auf die Meinungen von anerkannten Palästina- und Hamas-Experten wie Muriel Asseburg,[17] Helga Baumgarten,[18] Alexander Flores,[19] Kai Hafez,[20] Khaled Hroub[21] und Petra Wild.[22] Die Kritik an der Kriminalisierung und die Forderung nach einer Aufhebung des Verbots und der Listung sind eindeutig von der Meinungsfreiheit gedeckt. Daher verwundert es nicht, dass diese Stellungnahme nicht einmal in der Verbotsverfügung angeführt wird(!!) Offenbar war es den Autoren lieber, dieses wichtigste Dokument von PSDU zur Hamas ganz zu verschweigen, statt es zu verdrehen, und zu hoffen, dass es keinerlei Rolle spielen würde.

In der Stellungnahme vom 18.11.2023 heißt es wiederum: „In Deutschland wird die ganze Zeit davon geredet, es handle sich um einen Krieg zwischen Hamas und Israel. Das ist so nicht richtig: Von Gaza aus operieren verschiedene Widerstandsorganisationen, von denen die Hamas nur die größte und wichtigste ist. Sie kämpft gemeinsam mit anderen islamischen, mit linken, nationalistischen und patriotischen Parteien und Verbänden. Zusammen bilden sie de facto die Armee von Gaza, die gegen die israelischen Besatzungskräfte (eine der mächtigsten Armeen der Welt, die sogar über Atomwaffen verfügt) kämpft.“[23]

Auch hier findet sich weder Werbung noch ein besonderer positiver Bezug zur Hamas. Ihre objektive Bedeutung wird anerkannt, aber sie wird dennoch als „nur eine“ von mehreren Organisationen betrachtet. Bejaht wird ausschließlich ihr von jeglicher sonstiger Beurteilung unabhängiges Recht auf Widerstand gegen Besatzung, das ihr laut Völkerrecht ebenso zusteht wie allen anderen palästinensischen Organisationen oder Einzelpersonen auch.


[1] https://www.psdu-verbot.info/blog/bericht-hausdurchsuchungen-psdu

[2] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf

[3] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 23.

[4] Aufgrund der Sperrungen der PSDU-Accounts in Deutschland kann der Konsens hier nicht verlinkt werden.

[5] https://www.sueddeutsche.de/medien/blog-ruhrbarone-israel-palaestina-krieg-antisemitismus-1.6385617?reduced=true

[6] https://www.fr.de/kultur/tv-kino/cancel-culture-debatte-bei-kurzfilmtagen-oberhausen-das-gespenst-der-widerspruchsfreiheit-93047208.html

[7] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671e5dda3552f2615947a3f/1718740447145/Klage-Eilverfahren-gegen-Verbot-PSDU.pdf Seite 25

[8] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 51

[9] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671e5dda3552f2615947a3f/1718740447145/Klage-Eilverfahren-gegen-Verbot-PSDU.pdf Seite 29

[10] https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/1718735447349/Verbotsverf%C3%BCgung-PSDU-geschw%C3%A4rzt.pdf Blatt 50-51

[11] https://www.middleeastmonitor.com/20240325-on-keffiyehs-and-watermelons-the-meaning-of-palestinian-symbols/

[12] https://www.unsere-zeit.de/die-umstaende-des-einzelfalls-4793381/

[13] https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/8611.htm

[14] https://www.prosieben.de/serien/newstime/videos/razzia-gegen-hamas-unterstuetzer-reul-verbietet-palaestina-solidaritaet-duisburg-v_5l2umuqd8ekm

[15] https://www.psdu-verbot.info/blog/nrw-innenministerium-vs-vlkerrecht

[16] Die Stellungnahme wurde auf den in Deutschland mittlerweile gesperrten Instagram- und Telegram-Kanälen gepostet. Allerdings hatte Meta die Stellungnahme kurz darauf gelöscht, so dass sie seither nur noch bei Telegram nachzulesen war.

[17] Asseburg: Moderate Islamisten als Reformakteure? (Bundeszentrale für politische Bildung 2008), S. 86-87

[18] Baumgarten: Hamas (Diederichs 2006), S. 92-93

[19] Flores: Palästinakonflikt (Herder 2009), S. 96

[20] Hafez: Heiliger Krieg und Demokratie (Transcript 2009), S. 180

[21] Hroub: Hamas (Palmyra 2011), S. 61-65, 71

[22] Wild: Die Krise des Zionismus und die Ein- Staat Lösung (Promedia 2015), S. 154

[23] Aufgrund der Sperrungen der PSDU-Accounts in Deutschland kann das Statement hier nicht verlinkt werden.

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Helga Baumgarten (Prof. em. Birzeit University) zum Verbot von Palästina Solidarität Duisburg (PSDU)

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